Maria

31 Jahre
eine Fehlgeburt

Wie sich in 12 Stunden alles änderte

Wir waren wahnsinnig aufgeregt und gespannt. Nachdem uns die Schwangerschaft schon bestätigt wurde, waren wir wieder zu einem Kontrolltermin beim Frauenarzt. Heute wollten wir endlich das kleine Herz schlagen sehen, denn ich war schon in der 10. SSW. Außerdem wollten wir wissen, ob mit dem Baby alles ok ist, da wir in der kommenden Woche in unsere Flitterwochen fliegen würden.

Nach einiger Wartezeit beim Arzt wurden wir aufgerufen. Wir waren so voller Vorfreude und Neugier dieses kleine Wesen, das da in mir drin war zu sehen!

Der Arzt untersuchte mich und drehte und wendete den Ultraschall. Er schaute mehrere Male genauer auf den Monitor und versuchte nicht beunruhigt zu wirken.

Mein Mann stand hinter mir und wir schauten uns kurz an….

Warum dauerte das jetzt so lange?

Der Arzt schaute uns an und sagte: „Es tut mir leid, ich kann keinen Herzschlag finden.“

Plötzlich war ein dicker Kloß in meinem Hals und Tränen schossen in meine Augen. Ich suchte nach der Hand meines Mannes und drückte sie ganz fest.

Wir gingen zum Gespräch mit dem Arzt in ein anderes Zimmer. Ich fragte mich die ganze Zeit: Wie kann das denn nur sein? Ich dachte sowas kann mir nie passieren.

Der Arzt hatte alle Infoflyer zwecks Schwangerschaft schon zur Seite gelegt. Er fragte, ob wir das Ultraschallbild noch haben wollen. Wir nahmen es.

In den nächsten Minuten erklärte er uns, dass es im Hinblick auf unsere Reise gut wäre eine Ausschabung vornehmen zu lassen. Er schlug vor direkt in der Klinik anzurufen.

Für mich schien das die einzige logische Möglichkeit zu sein, denn ich wollte so gern unsere Flitterwochen antreten, egal wie.

Nach vielen Erklärungen darüber, was nun alles folgen würde und welche Untersuchungen im Krankenhaus gemacht werden müssten, sagte er immer wieder: „Ihr Kind kommt nicht in den Müll! Es gibt einmal im Jahr eine Sammelbestattung von den Kliniken. Fragen Sie nach wann das ist!“

Somit gingen wir vom Arzt direkt in die Klinik. Mein Mann war die ganze Zeit an meiner Seite und nahm sich für den Tag frei. Wir warteten und bekamen eine Menge Kram zum Lesen, Ankreuzen und Unterschreiben. Mir stieg die Bürokratie zu Kopf. Ich begann verzweifelt zu weinen und sagte zu meinem Mann: „Ich kann das nicht alles beantworten, ich schaff‘ das nicht!“. Schließlich machte ich doch weiter, weil mir nichts anderes übrigblieb. In diesem Moment wurden die Themen Fehlgeburt und Ausschabung so rational.

Im Anschluss bekam ich direkt einen Zugang gelegt. Ich hatte keinerlei Erfahrung damit, geschweige denn war ich je in einer Klinik gewesen, um mich operieren zu lassen. Ich ließ alle weiteren Gespräche über mich ergehen und fragte ständig die verschiedenen Leute ob sie wissen, wann diese Sammelbestattung sein wird. Niemand konnte uns eine Antwort geben. Mir war es aber so wichtig, dass wir unser Kind beerdigen und verabschieden konnten!

Während der Wartezeit sah ich ständig schwangere Frauen kommen und gehen. Es versetzte mir jedes Mal einen Stich im Körper. Mein Mann schrieb verschiedenen Freunden und der Familie, denn in unserer Vorfreude hatten wir bereits vor der 12. SSW uns nahestehenden Personen von der Schwangerschaft erzählt.

Er schrieb ihnen, dass wir in der Klinik sitzen und sie bitte mit an uns denken sollen. Meine Mama rief mich an und sagte: „Lass es los, so schwer es auch ist, sag‘ deinem Körper er soll es loslassen.“ Das waren sehr harte Worte meiner Mama, aber sie selbst hatte bei ihrer ersten Schwangerschaft auch eine Fehlgeburt. Also nahm ich mir diese Worte erst recht zu Herzen, denn sie wusste genau wie ich mich fühlte.

Ich kam auf ein Zimmer und sollte mich hinlegen. Leider war es ein Doppelzimmer und die andere Patientin bekam gerade Besuch. Ich bekam ein Zäpfchen, damit der Muttermund weich wurde. Mir wurde gesagt, dass es sein könne, dass ich noch ein zweites benötigte, da alles noch sehr fest sei. Von meiner Schwägerin wusste ich, dass es auch einen natürlicheren Weg (Tablette zum Einnehmen und Zuhause sein) gegeben hätte, aber ich wollte ja gern verreisen.
Ich betete: „Gott, bitte lass es jetzt einfach losgehen ich will kein zweites Zäpfchen mehr.“ Nun tat sich etwas in meinem Körper. Alles verkrampfte sich in meinem Unterleib, die Tränen flossen, ich hielt die Hand meines Mannes und ließ mir Schmerzmittel verabreichen. Dann ging ich ein paar Stunden später auf die Toilette und hatte eine leichte Blutung.

Etwas erleichtert war ich darüber, aber auch so traurig, denn es bedeutete, dass ich mein Baby jetzt verlieren würde.

Am Nachmittag kam die Krankenschwester ins Zimmer und sagte, dass es losgehe und ich mich bereit machen könne für die OP. Sie half mir ins OP-Hemd. Ich musste mich von meinem Mann verabschieden und wurde aus dem Zimmer Richtung OP geschoben – schweigend und unter Tränen. Ich wusste, dass es jetzt sein musste, denn ich wollte auch keine Schwangerschaftsvergiftung oder ähnliches. Also versuchte ich mich zusammenzureißen. Ich war so nervös als ich bei den Vorbereitungen da lag und warten musste. Mein Herz schlug bis zum Hals. Die Ärzte stellten sich mir vor und da spürte ich es….da klopfte doch was in meinem Bauch! Am liebsten hätte ich geschrien: „Stopp, ich fühle den Herzschlag, ihr braucht nicht zu operieren!“ Dann merkte ich, dass es mein eigenes Herz war, das so sehr schlug. 

Die OP verlief sehr gut und nach kurzer Zeit wachte ich auf. Ich wurde zurück auf Station gebracht. Dort wartete mein Mann, traurig aber erleichtert darüber, dass es mir gut ging. Wir bekamen noch Essen ans Bett und ich verschlang das Brot, da ich den ganzen Tag nichts essen durfte. Meine Werte waren alle sehr gut und somit konnte ich mich anziehen und nach Hause gehen. Wir holten uns Pizza und verbrachten den Abend auf der Couch. Arm in Arm, weinend, hörten laut Lobpreismusik, auch wenn wir nicht verstanden, warum Gott uns dieses Kind erst geschenkt hatte und wir es nun wieder verabschieden mussten.

In den nächsten Tagen konnten wir uns ablenken, da wir unsere Koffer für die Flitterwochen packen mussten. Diese Reise tat uns so gut. Wir konnten auf ganz besondere Art trauern und fühlten uns sehr tief verbunden. Nachdem wir wieder zuhause waren überkamen mich immer mal wieder die Tränen und eine tiefe Trauer. Arbeiten musste ich noch nicht, denn ich durfte mir soviel Zeit nehmen wie ich brauchte. Schließlich ging ich aber schon recht schnell wieder zur Arbeit um mich irgendwie abzulenken.

Circa ein halbes Jahr später war dann die Sammelbestattung. Ich habe unserem Kind einen Brief geschrieben wie ich die 10 Wochen der Schwangerschaft erlebt habe und wieviel Freude es uns gebracht hat. Die Bestattung war ein besonderer und wichtiger Tag, um Abschied zu nehmen und Platz zu machen für unser zweites Kind, mit dem ich bereits schwanger war. 

Ich hatte in diesem halben Jahr so viele Hochs und Tiefs. Zwischenzeitlich dachte ich wieder schwanger zu sein, dann war es nicht so und in mir brach wieder alles zusammen.

Bevor ich glauben konnte, wirklich wieder schwanger zu sein, konnte ich eine Woche nicht richtig schlafen und war mir so unsicher. Ich wartete diese eine Woche ab die ich „drüber“ war und holte mir dann den Schwangerschaftstest. Nachdem dieser positiv war ging ich direkt zum Arzt. Yeah schwanger! Diesmal bekam ich Progesteron, das ist ein Hormon das veranlasst, dass die Schwangerschaft bestehen bleibt, und Blutverdünner, da man nicht wusste ob die erste Schwangerschaft aufgrund von Unterversorgung zur Fehlgeburt führte. Diese musste ich bis zur 18. SSW nehmen. Wir warteten diesmal die zwölf Wochen ab und sagten nur ein paar wenigen Leuten, dass ich wieder schwanger war. Trotzdem hatte ich Angst und musste immer wieder die Kontrolle abgeben und sie in Gottes Hände legen.

Ich habe daraus gelernt, dass ich keine Kontrolle darüber habe, was in meinem Körper passiert und dass es gut ist, nicht alles entscheiden zu können. Dass es Dinge gibt, die ich nicht erklären kann und die leider sehr oft vorkommen. Ich habe beschlossen das Thema nicht tot zu schweigen, sondern offen davon zu erzählen. Dadurch habe ich verschiedene Frauen kennen gelernt, die selbst schon eine Fehlgeburt hatten. Das half mir sehr, einfach erzählen zu können ohne „hinterm Berg“ halten zu müssen und auch ein paar Tränen vergießen zu können.

Während unserer Flitterwochen haben wir für unser erstes Kind einen Namen gewählt. Auch unser zweites Kind benannten wir, kaum, dass wir das Geschlecht erfuhren. Denn so war es bereits viel länger schon eine präsente Person und nicht nur „das Baby“.