Ina 

Meine kleine Geburt

08. April
Ich halte einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Das war mir bei den Schwangerschaftssymptomen (Übelkeit, spannende Brüste, empfindliche Nippel, häufiger Harndrang) fast schon klar. Umso größer die Freude, als der zweite Strich dick und deutlich auf dem Test erscheint! Wir bekommen unser Wunschkind.

26. April
Bereits bei meinem ersten Frauenarzttermin sagte mir die Ärztin, dass unser Baby noch etwas zu klein sei, aber das könnte sich alles noch geben. Ich ging mit einem unguten Gefühl, aber großer Hoffnung nach Hause. Die Wochen bis zum nächsten Termin waren geprägt von einer Achterbahn der Gefühle – Angst, Freude, Panik, Hoffnung. Ich dachte immer wieder darüber nach, was geschieht, wenn ich in ein paar Wochen erfahre, dass ich kein Baby bekommen werde. Ich muss immer wieder weinen und fühle mich total hilflos. Immer wieder lege ich die Hand auf meinen Bauch, versuche in mich hineinzuhorchen – die Symptome halten an, das sollte doch ein gutes Zeichen sein, oder?

11. Mai
Der Termin zur Kontrolluntersuchung steht an. Als ich aufgerufen werde, klopft mein Herz wie wild. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Wellen der Übelkeit überkamen mich. Und sehr zu unserem Schmerz stellte die Ärztin fest, dass es keinen Herzschlag gab. Unser Baby hatte es nicht geschafft. Woran das lag, konnte sie mir nicht sagen. Sie drückte mir eine Krankenhausüberweisung zur Ausschabung in die Hand. Ich sollte innerhalb der nächsten 14 Tage eine Curettage vornehmen lassen. Sie schrieb mich für eine Woche krank – um das Ganze zu verdauen. Raus aus der Praxis, war meine erste Reaktion im Schock ein Anruf im Klinikum, um sofort einen OP-Termin für die kommende Woche zu vereinbaren. Das muss schnell ein Ende finden. In den kommenden Tagen merke ich, ich habe große Angst vor der OP. Auch wenn es eine Routine-Operation ist, so ist es doch ein Eingriff unter Vollnarkose. Ich mag Krankenhäuser nicht. Sie verunsichern mich. Die Vorstellung mein Baby hierzulassen, widerstrebt mir. Mein Leidensdruck ist groß und ich kann diesen Zustand kaum ertragen. Zu viel grübeln darf ich nicht. Daran denken und überlegen, warum es so gekommen ist, bringt mir nichts. Stattdessen versuche ich, es zu akzeptieren und ich bemerke, dass die größte Verzweiflung langsam abklingt. Der OP-Termin rückte näher, ich war unsicher. Ich wusste von einer Freundin, welche sich für einen natürlichen Abgang entschieden hatte, dass so etwas möglich war, wenn auch schmerzhaft und langwierig. Doch sie erzählte mir damals, dass es um ein Vielfaches sanfter für Körper und Seele sein kann. Nach vielen Tränen, schlaflosen Nächten und Gesprächen mit meinem Mann festigte sich der Wunsch in mir, dass mein Körper unser Baby selbst verabschieden darf und ich keine Ausschabung machen lassen wollte.

18. Mai
Der Tag der Ausschabung kam und ich entschied mich, den OP Termin, um eine weitere Woche, zu verschieben und darauf zu warten, dass ein natürlicher Abgang beginnt. Mein Mann unterstützte mich in dieser Entscheidung. Ich las viel über die „kleine Geburt“, wie Hebammen es nennen und sprach mit meiner Ärztin über meine Entscheidung. Sie entgegnete, dass sie diese Entscheidung mittragen könne und mich dafür bewundere, denn das wäre ein harter Weg. Wir sollten bei extrem starken Blutungen nicht erschrecken. Es müsse sehr stark bluten, damit alles herausbluten kann. Ich würde auch Schmerzen haben, eben kleine Wehen und sollte mir Schmerzmittel aus der Apotheke besorgen. Bei zu starken Blutungen, Schwindel oder Fieber solle ich bitte ins Krankenhaus gehen und nicht zögern. Ich besprach alles mit meinem Mann. Ich war irritiert – was sind denn zu starke Blutungen, wenn man extrem stark bluten müsste? Bei meiner Internetrecherche stieß ich auf eine hilfreiche Mengenangabe in einem Infoblatt des deutschen Gynäkologenkongress: Eine Blutung ist normal, die stärker ist als eine Menstruation und bei der etwa 8 dicke Binden in einem Zeitraum von 2 Stunden „durchgeblutet“ werden. Das ist heftig viel Blut! Trotzdem, auch wenn es kein schöner Weg, ein trauriger Weg, ein schmerzhafter Weg werden würde, ich entschied mich, dass das unser Weg werden würde.

In den kommenden Tagen war ich angespannt, nervös. Jedes kleine Ziehen im Unterleib irritierte mich. Ich schlief viel, konnte nichts wirklich erledigen. Es war grauenvoll, auf den Moment zu warten, an welchem du dein Baby endgültig verlieren würdest. Auf dem Blog einer Heilpraktikerin las ich, dass es den Prozess des Loslassens unterstützen würde, wenn man Hirtentäscheltee oder -tinkur zu sich nehmen würde. Also bestellte ich mir diese. Außerdem las ich immer wieder, dass der Körper „loslassen“ würde, wenn die Seele sich dafür entscheiden würde. Und so sprach ich immer wieder laut aus, dass mein Körper unser Baby nun gehen lassen dürfte.

22. Mai (11.SSW)
Am Abend bemerkte ich zunehmendes, sehr unangenehmes Ziehen in meinem Unterleib. Ich teilte meinem Mann mit, dass ich denke, es könnte heute Nacht losgehen, packte eine Wärmflasche auf meinen Bauch, eine Binde in meinen Slip und ging ins Bett. Mitternachts wurde ich wach, da ich auf Toilette musste. Ich hatte nun eine periodenstarke Blutung und viele kleine Wehen. Schmerzhaft, aber aushaltbar. Mir war übel und ich fiel in einen seltsam dösigen Zustand – schlafen konnte ich nicht mehr. Um zwei Uhr bemerke ich großen Druck, habe das Gefühl etwas muss raus. Ich war schlagartig wach und rannte ins Bad. Doch zu spät, das Blut rann an meinen Beinen herunter. Ich stand in einer Lache voll Blut. Mein Schlafanzug, mein Slip, die Binde, alles war voll Blut. Ich fing an zu weinen, wusste nicht, wohin mit mir. Ich wollte mich nicht bewegen, denn dann würde ich das Blut verteilen. Mein Mann eilte mir zu Hilfe. Als ich mich umzog und auf Toilette ging, gebar ich die Fruchtblase. Sie ist deutlich erkennbar, noch fest von Gewebe umschlossen. Ich hielt den Atem an und weinte. Der größte Schmerz war vorüber. Nach einer Dusche ging ich ins Bett und schlief erschöpft ein. Die wehenartigen Schmerzen begleiteten mich noch 1,5 Tage. Die Blutungen hielten noch eine Woche an. Ich schlief viel, ruhte mich aus. Ließ mich von meiner Frauenärztin krankschreiben und hielt ein „kleines Wochenbett“ ein, so gut ich es schaffte. Mein Mann umsorgte mich rührend – Gott sei Dank hatte er Homeoffice in dieser Zeit. Durch den Geburtsprozess konnte auch er den schmerzhaften Abschiedsprozess durchleben. Ganz anders als, wenn er mich nach der OP aus dem Krankenhaus abholen würde und nicht Teil davon gewesen wäre. Er war Teil bei der Entstehung unseres Kindes, er wäre bei einer regulären Geburt dabei gewesen, warum also nicht auch beim viel zu frühen Abschied durch die Fehlgeburt?! Ein paar Tage später nahmen wir ein kleines Leinensäckchen, verpackten die Fruchtblase darin, machten einen kleinen Spaziergang und beerdigten unser Kind unter einer Weide bei einem Teich und streuten Blumensamen darauf.

Auf Empfehlung einer Heilpraktikerin begann ich täglich „Nestreinigertee“ zu trinken, um meinen Körper dabei zu unterstützen alles herauszuspülen. Eine Woche später wurde ich bei meiner Frauenärztin zur Kontrolle vorstellig. Ich sitze wieder mit einem Herz, das mir bis zum Hals schlägt in diesem Stuhl. Ob tatsächlich alles abgeblutet ist? In den letzten Tagen nahm die Blutung deutlich ab und war nur mehr ein Ausfluss. Unter keinen Umständen wollte ich jetzt im Nachgang noch eine Ausschabung durchleben. Meine Ärztin sprach beruhigend mit mir, trotzdem war ich sehr aufgeregt. Per Ultraschall vermisst sie meine Gebärmutter und die Eierstöcke. Die Fruchthöhle und der Großteil des Schwangerschaftsgewebes sind abgeblutet. Es befindet sich nach wie vor Schleimhaut in der Gebärmutter, aber sie sei zuversichtlich, dass mein Körper das auch noch schaffe. Ich müsste nach meiner nächsten Periode erneut zur Kontrolle kommen. Anschließend wurde mein HCG-Wert im Blut gemessen – auch dieser war noch sehr hoch. Mein Körper brauchte eben Zeit, um sich von dieser Schwangerschaft zu verabschieden.

In den kommenden Wochen wurde einmal wöchentlich das HCG in meinem Blut kontrolliert und nach meiner Periode erneut ein Ultraschall durchgeführt. Ich war emotional recht stabil und das HCG baute sich stetig und sanft ab. Kein Hormonchaos oder Babyblues. Zum Abschluss der Untersuchungen erklärte meine Ärztin mir, dass ich stolz sein könnte, diesen Weg für mich gewählt zu haben. Nicht viele Frauen würden sich dies zutrauen. Auf meine Frage hin, ob sie Frauen denn dahin gehend berate und aufkläre, gestand sie, dass das „normale Vorgehen“ sei, Betroffene sofort zur Ausschabung zu überweisen. Es sei eben das „Einfachste“ für alle Beteiligten. Geschockt verließ ich die Praxis. Warum wurden Frauen nicht darüber aufgeklärt, dass ihr Körper sich auch natürlich verabschieden könne? Dass es eine Alternative zur Ausschabung gibt? In Gesprächen mit meinen Freundinnen zeigte sich, dass 2 meiner 4 engsten Freundinnen durch meine Erfahrung nochmals richtig eingeholt wurden von ihren Fehlgeburten, die mit einer Curettage endeten. Sie wollten keine OP. Jedoch wurden sie nicht aufgeklärt und dachten, dies sei eben, wie es nun gehen müsste. Sie erzählten, dass sie regelrecht traumatisiert worden seien, da sie von der OP überrumpelt wurden.

Warum teile ich meine Geschichte hier? Ich möchte mir nicht anmaßen zu sagen, dass mein Weg der „richtige“ oder „bessere“ Weg ist. Eine Fehlgeburt ist ein furchtbares Erlebnis. So oder so. Wenn man ein gewünschtes Kind (auch wenn es „nur“ ein kleiner Zellhaufen war) nicht am Ende einer glücklichen Schwangerschaft zur Welt bringen kann, sondern viel zu früh verliert und den Schmerz ertragen muss, dass alle Hoffnungen und Wünsche, die man für die kommende Zeit hatte, nicht eintreffen werden. Aber ich möchte jeder betroffenen Frau und Mutter zusprechen: DU HAST EINE WAHL. Du musst nicht ins Krankenhaus gehen und dich ausschaben lassen. Du musst auch nicht sofort dieses „Gewebe“ herausholen lassen, weil es den Körper sonst vergiften würde. Es gibt Frauen, die etwas mehr Zeit brauchen. Um sich zu verabschieden, um loszulassen. Es ist möglich, abzuwarten, bis dein Körper euer Baby gehen lässt. Jede Frau sollte, nach entsprechend fachlicher Beratung, selbst entscheiden, welcher Weg für sie der richtige ist. Für uns bis jetzt die beste Entscheidung.